Stadtteilportrait Berlin Kreuzberg
Die Entwicklung von Berlin Kreuzberg
Vernimmt man - insbesondere wenn man nicht aus Berlin ist - den Namen Kreuzberg, denkt man häufig nur an brennende Autos, an von sogenannten Autonomen besetzte Häuser, an Fahrräder stehlende Hartz-4-Empfänger, an Erster-Mai-Randale und an kopfbetuchte und langbemäntelte Frauen und daran, dass man mit seiner Muttersprache Deutsch hier nicht weit kommt. Und tatsächlich erfüllt dieser ungewöhnliche Stadtteil manche dieser Klischees auch. Aber wie sich viele Dinge in Berlin seit dem Abbau der Mauer mit einer hohen Dynamik geändert haben, so hat sich auch dieser Stadtteil in den letzten Jahren gewaltig gewandelt, abgesehen davon, dass die Klischees eben Klischees sind und waren. Wie meistens bei Klischees hat ihre Aussage auch hier etwas Wahres, aber der Berliner Stadtteil Kreuzberg hat - und hatte auch schon früher - auch eine sehr, sehr positive Seite. Das im Südwesten Berlins gelegene Kreuzberg wurde erst nach der Gründung Groß Berlins im Jahre 1920 als Bezirk Hallesches Tor in die Stadt eingegliedert; es hatte damals weit über 300.000 Einwohner. Heute sind es etwa die Hälfte. Allerdings mit wieder zunehmender Tendenz. Denn während der deutschen und Berliner Teilung führte Kreuzberg ein Nischendasein. In der Zeit zwischen Zweitem Weltkrieg und Wiedervereinigung nutzten Studenten und Migranten die wegen der Unbeliebtheit dieses Bezirks günstigen Mieten, und so war auch Kreuzberg seit den achtundsechziger Jahren Schauplatz von Demonstrationen gegen fast alles, was „etabliert“ war. Insbesondere, nachdem der Führer der Studentenrevolten Rudi Dutschke von einem der Ordnungshüter (der nach heutigen Erkenntnissen auf der Payrole der DDR-Stasi stand) angeschossen worden war, eskalierten die Oster- und Mai-Demonstrationen in nahezu kriegsähnliche Rencontres, die in zum Teil schwere Straßensachlachten ausarteten. Längst scheint die politische Motivation für solche auch als Walpurgisnacht (30.April/1.Mai) bezeichneten Happenings in den Hintergrund getreten zu sein. Der Spaß am an der Grenze der Legalität liegenden Events steht bei den eher jugendlichen Teilnehmern heutzutage eher die größere Rolle, während damals der aufgebrachte Mob das Erscheinen der von Axel Springer verlegten Zeitungen (u.a. Welt, BILD, Berliner Morgenpost) verhindern wollten. Immerhin ist vor zwei Jahren ein Teil der Kochstraße, an welcher Axel Springer 1959 mutig und visionär sein Berliner Verlagshochhaus aufbaute, auf Grund dieser schrecklichen Vorfälle inzwischen in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt worden. Es ist vielleicht ein wenig kühn zu vermuten, dass der Grund der Verlegung des Haupteingangs zum Springer-Haus von der (nunmehr) Rudi-Dutschke-Straße hin in den neu errichteten, das alte Verlagsgebäude ergänzenden Neubau um die Ecke, in die Querstraße, die vor einiger Zeit in Axel-Springer-Straße umbenannt wurde, in dieser ersteren Straßenneubenennung liegt. „On y soit, qui mal y pense“ - „Schande über den, der schlecht darüber denkt“.
Die Unruhen und die Migrantendichte bewirkten, dass Kreuzberg lange Zeit bei bürgerlichen Zeitgenossen als Wohnort nicht so beliebt war. Das hat sich seit dem Fall der Berliner Mauer grundlegend geändert. Die Gründe: Erstens lag Kreuzberg nach der Wende plötzlich fast in der Mitte von „Groß Berlin“, viel näher an Berlin Mitte als zum Beispiel die bürgerlichen Berliner Stadtteile Charlottenburg und Wilmersdorf. Zweitens: Diejenigen, die wegen der Andersartigkeit, wegen der „Nichtbürgerlichkeit“ und wegen der Billigkeit Kreuzbergs - insbesondere, was die Wohnungsmieten betraf - hier wohnten, entdeckten nach dem Fall der Berliner Mauer sofort, dass östliche, also im ehemaligen Ost-Berlin gelegene, Stadtteile Berlins viel billiger waren und viel antibürgerlicher schienen. Sie zogen um nach Prenzlauer Berg, nach Friedrichshain und Mitte, wo das einfache Wohnen und Leben unmittelbar nach Öffnung der Grenze zwischen Ost und West zunächst sehr billig war. Auch die Migranten sind nicht mehr ganz so zahlreich in Kreuzberg anzutreffen wie früher. Sie sind zum Teil ebenfalls in billigere Berliner Quartiere, nach Wedding, Moabit und Neukölln abgewandert.
Dagegen haben Immobiliendeveloper sofort nach der Wende das Potenzial Kreuzbergs erkannt. Die Gentrifizierung - (die Gentrifizierung beschreibt nach Wikipedia einen „bestimmten sozioökonomischen Umstrukturierungsprozess städtischer Wohngebiete. Dabei geht es um die soziokulturellen und immobilienwirtschaftlichen Veränderungen in ursprünglich preisgünstigen Stadtvierteln, in denen Immobilien zunehmend von wohlhabenderen Eigentümern und Mietern belegt und baulich aufgewertet werden und in denen in diesem Zuge Gruppen mit einem niedrigeren Sozialstatus ersetzt oder verdrängt werden.“) ist hier voll im Gange. Denn Kreuzberg liegt nicht nur gut, Kreuzberg hat auch Straßenzüge voller bestens erhaltener wilhelminischer Architekturkultur (siehe unten).
Architektur in Kreuzberg
Man kann sich einzelne bedeutende Gebäude in Kreuzberg auswählen oder auch Häuser-Karrées oder Straßenzüge. Ein bemerkenswertes Gebäude in Kreuzberg ist zum Beispiel das Finanzamt, ein Architekturjuwel erster Güte am Mehringdamm zwischen der Yorck- bzw. Gneisenaustraße einerseits und dem Halleschen Tor auf der anderen Seite. Das vielleicht 100 Meter lange dreistöckige Gebäude ist einer der für Berlin besonders typischen Historismus-Bauten. Mit seinen Zinnen und Türmen erinnert dieses als Kaserne des königlichen Garde-Dragoner-Regiments errichtete, mit einer mächtigen Fassade mit Zinnentürmen an den Ecken ausgestattete und mit romanisch anmutenden Rundbogenfenstern verzierte, diesen Teil des Mehringdamms absolut beherrschende Haus an ein mittelalterliches Kastell, dem man die Architektur des Nachgebauten (Mitte 19. Jahrhundert) freilich ansehen kann (und sicher auch soll). Die Architekten waren seinerzeit Wilhelm Drewitz und Ferdinand Fleischinger.
Ein weiteres Highlight Kreuzberger Architektur ist circa 80 Jahre später hauptsächlich von dem berühmten Architekten Erich Mendelsohn geplant worden. Es handelt sich um das Haus des Deutschen Metallarbeiterverbandes (Vorläufer der IG Metall) in der Alten Jakobstraße.
Berühmt sind vor allem die Wendeltreppe und die vielen Messingtüren dieses denkmalgeschützten Hauses des Expressionismus, das erst nach dem Fall der Berliner Mauer nach alten Plänen erneut restauriert und seiner ursprünglichen Funktion als Gewerkschaftsgebäude zugeführt wurde.
Unbedingt ist in diesem Zusammenhang natürlich das Jüdische Museum von Daniel Liebeskind zu nennen. Wegen seiner einzigartigen und eigensinnigen Architektur macht es eine Beschreibung schwierig. Es besteht eigentlich aus zwei ganz verschiedenen Gebäuden, dem barocken Altbau, 1735 nach Plänen von Philipp Gerlach errichtet, dem ehemaligen Sitz des Kammergerichts, und dem gut 250 Jahre später errichteten zickzackförmigen Neubau von Liebeskind. Dieser Zickzack, der am offensichtlichsten aus der Vogelperspektive zu erkennen ist, soll an einen zerbrochenen Davidstern erinnern. Auffallend sind auch das Material der Außenhaut: Titanzink, ferner die ungewöhnlich geformten Fenster, viel Sichtbeton und die vielen spitzen Winkel in den Wänden. Hinter dem alten bzw. seitlich des neuen Museumsgebäude(s) der Garten des Exils mit 49 Betonstelen.
Das Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur in Berlin - die Berlinische Galerie liegt an der Alten Jakobstraße in Kreuzberg, nicht weit vom Jüdischen Museum entfernt. Ihr Portfolio ist in Berliner Kunst von 1870 bis heute – mit lokalem Fokus und internationalem Anspruch zugleich. Architekten: Kühn Malvezzi (Berlin/Wien).
Der Münsteraner Architekt Dieter Georg Baumewerd hat den Neubau der Apostolischen Nuntiatur geplant, für den 1997 ein anonymer Wettbewerb ausgeschrieben worden war. Neben der diplomatischen Vertretung enthält der Gebäudekomplex auch die Residenz des Botschafters sowie eine Kapelle enthält. Die Gesamtanlage wirkt sehr nüchtern. Sie setzt sich aus zwei je viergeschossigen Baukörpern zusammen. Diese sind mit einer Art „gläsernen Fuge“ miteinander verbunden.
Im Baukörper - parallel zur Lilienthalstraße - befindet sich die Botschaft mit Empfangs- und Büroräumen, im Seitentrakt die Kapelle und die privaten Räume des Botschafters des Heiligen Stuhls (Nuntius) und seiner Mitarbeiter. Daran schließt sich die große Empfangshalle und die Repräsentanzräume. Georg Baumewerd hat die bestehende Kirche, die von neoromanischen und –gotischen Stilelementen charakterisiert wird, bei seiner Konzeption miteinbezogen - ein gelungenes Gesamtensemble.
Auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs gibt es seit 2001einen Betonbau in Gestalt eines Zirkuszeltes: Das Neue Tempodrom. Es wurde nach Entwürfen von Doris Schäffler und Stephan Schütz vom Hamburger Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner von Meinhard von Gerkan am Askanischen Platz errichtet. Das Dach erinnert an die Kathedrale von Brasilia von Oscar Niemeyer. Es hat stellt einen gelungenen Kontrast zu den Überresten des ehemaligen Bahnhofs dar.
Einen ganz anderen Eindruck vermittelt der U-Bahnhof Schlesisches Tor (Architekten Hans Grisebach und August Dinklage). Es handelt sich um einen polygonalen Bahnhof im historistischen Stil. Wie häufig im Berliner Historismus enthält die Ziegelfassade zahlreiche Elemente der Neorenaissance. Das entsprach nicht nur dem damaligen Zeitgeschmack, sondern erlebte nach jahrzehntelanger weitgehender Ablehnung bis in die sechziger Jahre eine Geschmacksrenaissance in unserer Zeit. Der von der Firma Siemens & Halske errichtete Bahnhof wurde 1901 vollendet.
Im Jahre 1992 kaufte die SPD das 3225 m² große Eckgrundstück Wilhelmstraße/ Stresemannstraße für die neue Zentrale der Sozial-Demokratischen Partei Deutschlands. Der Architekt Helge Bofinger hatte für die Bebauung dieses Grundstücks schon im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1984/1987 (IBA) den ersten Preis gewonnen. Danach sollte dort ein großes Wohn- und Geschäftshauses gebaut werden, das allerdings nie zur Ausführung kam. Eigentlich sollte der Architekt dort, in der südlichen Friedrichstadt, wo sich nur minderwertige Nachkriegsbauten und Brachflächen zusammenhanglos miteinander im Wettbewerb um schlechte städtebauliche Qualität bemühten, einen Akzent setzen. Bofingers seinerzeitiger Entwurf erfüllte weitgehend auch die Vorstellungen der neuen Bauherren. Seine Pläne passte er, wo nötig, dem veränderten Nutzungsprofil an. Im Mai 1996 ist dann das Willy-Brandt-Haus eingeweiht worden.
Auf dem spitz zulaufenden Grundstück ist ein siebengeschossiger Bau entstanden, die Traufhöhe von 22 Metern wurde wie überall, wo in Mitte und Umgebung nach der Wende neu gebaut wurde, der Umgebung angepasst. Das große Gebäude erinnert ein Wenig an den Baustil der 1920er und frühen 1930er Jahre. Glas, heller Kalkstein und blaues Metall sind die beherrschenden Bau-Materialien. Bemerkenswert ist das haushohe, verglastes Atrium, welches die Wilhelmstraße mit der Stresemannstraße verbindet. Es gibt reichlich Raum für Ausstellungen und Veranstaltungen, und das Parterre ist an Läden und gastronomische Betriebe, die zwei Etagen darüber als Büros vermietet. Der Parteivorsitzende der SPD hat in der fünften Etage sein Büro, und ganz oben in der Spitze des Gebäudes, hinter halbrunder Glasfront, liegt der große Präsidiumssaal. Im Atrium steht die überlebensgroße bronzene Statue von Willy-Brandt von Rainer Fetting.
Das sind einige der architektonischen Highlights von Kreuzberg. Wie in Berlin überall zeichnet sich dieser Stadtteil Berlins dadurch aus, dass sich immer wieder „architektonische Inseln des Glücks“ direkt neben ganz gruseligen und nicht nachvollziehbar schlechten und langweiligen Architekturbeispielen befinden. Ähnlich verhält es sich - auch hier ist Kreuzberg nur ein Beispiel für viele Berliner Stadtteile - mit den normalen Wohngebäuden, also mit in der Reihe aneinander gebauten Häusern, die Etagenwohnungen enthalten. Da gibt es einerseits - gerade in Kreuzberg - ganze Straßenzüge mit durchgehender, meistens zumindest äußerlich in gutem Zustand befindlicher wilhelminischer Bebauung, also Häuser, die Miet- oder Eigentumswohnungen enthalten und die zwischen 1880 und 1914 gebaut worden sind, und andererseits Reihensiedlungen der 50er und Bauklötze der 60er, 70er und 80er Jahre, die den Betrachter erschaudern lassen
Interessante Beispiele schöner alter Bebauung findet man in Kreuzberg tatsächlich an vielen Stellen. Zu nennen sind vor allem die Gneisenau-/ Yorckstraße, die Fidicinstraße, der Chamissoplatz, die Bergmannstraße und andere Straßen im sogenannten Bergmannkiez, das Paul-Lincke-Ufer und das Fraenkelufer.
Wohnen in Kreuzberg
Was im letzten Absatz unter der Überschrift „Architektur“ für Kreuzberg gesagt wurde, das hat sich inzwischen längst auf Kreuzbergs Beliebtheit als Wohnort ausgewirkt. Tatsächlich stehen die Quadratmeterpreise für Wohnen in Kreuzberg denjenigen, die man fürs Wohnen in Charlottenburg und Wilmersdorf ausgeben muss, nicht mehr nach. In den besonders schönen Vierteln übertreffen sie jene sogar. In schlechteren Gegenden Kreuzbergs werden freilich Charlottenburg-Preise nach wie vor nicht erreicht. Fest steht jedenfalls, dass es einen eindeutigen „Kreuzbergtrend“ auch oder gerade in bürgerlichen Kreisen gibt. Eigentumswohnungen hinter dem eigentlichen Kreuzberg, also auf dem ehemaligen Gelände der Schultheiß-Brauerei haben die Quadratmeterpreise für die tatsächlich auch überwiegend sehr schicken Eigentumswohnungen schon Euro 3.000 erreicht und teilweise auch überschritten. Während im geteilten Berlin Kreuzberg eher als Domizil der jungen Leute galt, die aus Westdeutschland hierher kamen, um ihren Dienst bei der Bundeswehr zu umgehen, ist Kreuzberg inzwischen „in“. Wenn man sich die alte herrliche Bausubstanz, die breiten Straßen und die Nachbarschaft mit dem Berliner Stadtteil Mitte vor Augen führt, ist dieser Trend leicht nachvollziehbar.
Ausgehen in Kreuzberg
Kreuzberg ist ein ausgesprochenes Ausgeh-Gebiet. Natürlich hat die Struktur Kreuzbergs aus der Vergangenheit, die sich ja nicht auf einen Schlag ändert, viel zum Abwechslungsreichtum dieses Stadtteils beigetragen. Die Schlagerhymne „Kreuzberger Nächte sind lang“ kam nicht von ungefähr. Kreuzbergs Wandel hat jedoch auch die Restaurant- und Barszene bereichert. Früher wären „Spindler & Klatt“ oder das „Sage“ Restaurant an der Köpenicker Straße oder das „H.H. Müller“ und das Restaurant „Volt“, ein ehemaliges Umspannwerk, beide am Paul-Lincke-Ufer, oder das „E.T.A.Hoffmann“ in der Yorckstraße und das „Kimchi Princess“ in der Skalitzer Straße in Kreuzberg schlicht nicht gegangen. Manche schon früher bestehenden Restaurants haben sich aber auch einfach der neuen Mode nach mehr Schick angepasst, so etwa das „Horvath“ am Paul-Lincke-Ufer oder das „Café Jaques“ am gegenüberliegenden Maybachufer. Wieder andere sind so, wie sie immer waren, und erfreuen sich nach wie vor allergrößter Beliebtheit, so die „Ankerklause“ am Kottbusser Damm, die „Legende von Paula und Ben“ in der Gneisenaustraße, das „3 Schwestern“ im Kunstquartier Bethanien am Mariannenplatz, die „Kreuzberger Weltlaterne“ in der Kohlfurter Straße und die „Zyankali-Bar“ in der Großbeerenstraße.