Stadtteilportrait Charlottenburg/Wilmersdorf
1. Allgemeines
Wenn man von Charlottenburg spricht, dann glänzen häufig die Augen der alten Westberliner. Schließlich war Charlottenburg mit dem Zoologischen Garten und vor allem auch dem entsprechenden Bahnhof Zoo, mit dem berühmten Kurfürstendamm, mit der Ost-West-Achse Kaiserdamm – Bismarckstraße – Straße des 17. Juni bis zum Brandenburger Tor und mit dem KaDeWe das neue Zentrum im Westteil der geteilten Stadt.
Charlottenburg war und ist viel mehr als der berühmte Ku’damm und der Zoo. Früher wie heute residieren die meisten guten Anwälte und Betreiber anderer Büros, die etwas auf Repräsentation halten, in den schönen, alten Stuckhäusern am Kurfürstendamm und in den Ku’damm-Seitenstraßen; Die Meineke-, Fasanen,- Bleibtreu und Knesebeckstraße sind ebenso begehrte Adressen wie die Grohlmann-, die Wieland- und die Uhlandstraße und natürlich - fast parallel zum Kurfürstendamm - die Mommsenstraße. Hier findet man Häuser mit eleganten Stuckwohnungen, Vornehmheit ausstrahlende Anwaltskanzleien, solide Artzpraxen, prachtvolle Juwelier-, Bekleidungs- und Optikergeschäfte und viele gute Restaurants.
2. Architektur
In Charlottenburg/Wilmersdorf und in Kreuzberg gibt es wahrscheinlich die umfangreichste und prachtvollste Wohnbebauung aus der wilhelminischen Zeit, also Häuser, die - überwiegend in historistischem Stil - zwischen 1871 und 1914 errichtet wurden. Von den typischen großen Altberliner Wohnhäusern mit Vorderhaus, häufig zwei Seitenflügeln und Hinterhaus, die zusammen ein Karé bilden, welches einen meist geräumigen Innenhof einschließt, stehen in Charlottenburg und Wilmersdorf die nobelsten. Sie besitzen höchst repräsentative Eingänge. Dann kommt bei Wohn- und Geschäftshäusern die Treppe zum Zwischengeschoss. Sie besteht in der Regel aus weißem Marmor und ist mit einem roten, von goldblitzenden Messingstangen gehaltenen Läufer belegt. An den ebenfalls mit Marmor vertäfelten Seiten sind dicke Messingstangen und -Rohre als Geländer angebracht. Häufig vergrößern üppig goldgerahmte Spiegel optisch und verschönern stuckumsäumte Deckenfresken diese prunkvollen Entrées. Oben gibt es dann in diesen Häusern riesige Wohnungen. Im bequemen, meistens aus dunklem Edelholz gefertigten und ebenfalls mit rotem Läufer und Messingstangen versehenen Treppenhaus im Vorderhaus, welches in gepflegten Häusern nach einer Mischung von altem Holz und Bohnerwachs riecht, gibt es gewöhnlich einen alten Lift, der häufig schon seit über hundert Jahre seinen Dienst tut, während der früher hinter einen kleinen Tür am Eingang sitzende Concierge ausgestorben zu sein scheint. Die großen Wohnungen - im Vorderhaus jeweils eine links und eine rechts pro Etage - sind mit ihren Prunkzimmern in der Regel zur Straße ausgerichtet, untereinander und jeweils mit dem Flur durch repräsentative Doppelflügeltüren oder Doppelschiebetüren verbunden und mit Fischgrät-Parkettfußboden ausgestattet. Wenn im Kriege nichts an solch einem Haus zerstört wurde, verschönern üppige Stuckelemente die Übergänge von Wand zur Decke und beleben oft auch noch die Decke selber. Der Flur ist in solchen Häusern oft eine geräumige Diele, die mit manchmal 60 Quadratmetern einen Hallencharakter besaß. Es gibt sogar Wohnungen, die über zwei Etagen gehen und folglich noch eine eigene Treppe in der Diele besitzen, die nach oben führt. Ich habe in alten Büchern Wohnungen gefunden, die oft mehr als 20 Zimmer und einen eigenen Saal einschlossen. Aber das Gewöhnliche sind die Wohnungen mit einem „L“-Grundriss. Sie weisen zwei bis drei Zimmer zur Straße aus. Das sind repräsentative Salons. Nach hinten schließt sich in der Regel das größte Zimmer an. Das ist das sogenannte Berliner Zimmer, das ebenfalls ein Wohnsalon ist und folgerichtig den anderen Repräsentationszimmern mit einem großen Portal angeschlossen ist. Gleichzeitig dient das Berliner Zimmer als Durchgangszimmer zu den Schlafzimmern. Küche und Bäder sind unterschiedlich angeordnet. Das Bad war der niedrigste Raum; denn über demselben diente die Mädchenkammer dem Dienstmädchen als bescheidenes Schlafgemach, das nur über eine Leiter erreichbar war. Heute werden diese Hochverschläge eher als Abstellkammern genutzt.
Die Architektur des alten Berlin hat heute wieder viele Anhänger. Umso erstaunlicher ist, dass diese Architektur nach dem 2. Weltkrieg so sehr abgelehnt wurde, dass der Senat sogar denjenigen Hausbesitzern, die den Stuck von ihren Häusern entfernten und sie schmucklos glatt machten, dafür eine Entstuckungsprämie zahlte, weil der Zeitgeist damals nach schlichten, geraden Häusern verlangte, heute unvorstellbar!
In Charlottenburg wird aber auch das neue „Westberlin“, das freie Berlin der 50er und 60er Jahre, das Berlin der Regierenden Bürgermeister von Ernst Reuter bis Willi Brandt, deutlich sichtbar. Der vom tosenden Kreisverkehr umfahrene Ernst-Reuter-Platz, benannt nach eben jenem ersten Regierenden Bürgermeister Westberlins seit 1949, ist ein typisches Zeugnis dieses „neuen Berlin“, das im Wesentlichen Resultat der architektonischen Ideen der zweiten Hälfte der Fünfziger und der Sechziger Jahre ist. In diesem Teil Charlottenburgs stehen die teilweise an Megamaschinen erinnernden Gebäude der Technischen Universität und die Containerbauten der IBM und der Deutschen Bank (Otto-Suhr-Allee, benannt nach dem Regierenden Bürgermeister nach Ernst Reuter), die bis zur Revitalisierung und zum Ausbau des grandiosen alten Gebäudes Unter den Linden / Ecke Charlottenstraße in Mitte hier in Charlottenburg, am Ernst-Reuter-Platz, ihren Berliner Hauptsitz hatte. Weitere bemerkenswerte Gebäude der Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahre in Charlottenburg sind das Europa-Center, gleich am Bahnhof Zoo, neben der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, das ICC-Gebäude an der Messe und einige Kaufhäuser am Tauentzien - nicht das sagenhafte KaDeWe, das Kaufhaus des Westens, das ist viel älteren Ursprungs (1907, Architekt: Johann Emil Schaudt) und befindet sich im Übrigen gerade schon im Stadtteil Schöneberg.
Wenn man über die Architektur in Charlottenburg/Wilmersdorf spricht, darf man vier bemerkenswerte Gebäude bzw. Gebäudekomplexe keinesfalls auslassen: Das Charlottenburger Schloss, die Gebäude der Berliner Messe, das Haus des Rundfunks (gegenüber der Messe, an der Masurenallee) und das Ludwig-Ehrhard-Haus in der Fasanenstraße, das die Berliner Industrie- und Handelskammer beherbergt.
Die Ursprünge des wunderschönen, riesigen Charlottenburger Schlosses gehen auf das ausgehende 17. Jahrhundert zurück. Ursprünglich - nach weniger bedeutenden Anfängen unter Kurfürst Friedrich III. - beauftragte dieser nach seiner Krönung zum König in Preußen im Jahre 1701 - nunmehr als König Friedrich I. den Architekten Eosander von Göthe mit dem Bau der imposanten Dreiflügelanlage, die er nach dem frühen Tod seiner Frau Charlotte, die mit 37 Jahren verstorben war, zu ihren Ehren mit samt der angrenzenden Siedlung Charlottenburg nannte. Das im zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstörte Barockschloss ist heute ein sehenswertes Museum. Nach der Wende fanden dort auch gelegentlich Galadiners aus Anlass von Staatsbesuchen wichtiger Staatspräsidenten statt. Die von innen schlichte Orangerie kann man auch für eigene Events mieten. Bemerkenswert ist die östlich vom Schloss stehende schlichte Schinkelvilla, die verdeutlicht, wie klar im Klassizismus fast allein auf die harmonischen Proportionen abgestellt wurde.
Ach das Messegelände hat eine interessante Geschichte. Die erste Messehalle wurde im Jahr 1914 für Automobilausstellungen fertiggestellt. Allerding wurde sie wegen des Ersten Weltkrieges erst zur Deutschen Automobil-Ausstellung am 23. September 1921 eröffnet. Am Tag darauf fand das auch erste Autorennen auf der benachbarten AVUS statt. Die nächste Halle wurde 1924 auf dem Gelände des heutigen Omnibusbahnhofs errichtet. Das heutige Gelände, vom Architekten Heinrich Straumer ist erst seit 1924 Berliner Messestandort. Staumer hat übrigens auch den benachbarten Funkturm entworfen. Der Architekt Richard Ermisch entwarf schließlich den Plan für das heutige Messegelände. Es entstand 1937 entlang der Masurenallee und des Messedamms mit dem markanten Eingangsgebäude am Hammarskjöldplatz. Die Architektur der Gebäude der Dreißiger Jahre spiegeln die typische Architektur dieser Zeit wieder, die fälschlich häufig als „Nazi-Architektur“ bezeichnet wird, tatsächlich aber auf der ganzen Welt, im demokratischen Amerika ebenso wir im kommunistischen Russland ihren noch heute sichtbaren Niederschlag fand. In ähnlicher Architektur, die man als erneute Neuauflage des Klassizismus, also als eine Art Neo-Neo-Klassizismus bezeichnen könnte, sind in Berlin auch andere große Gebäudekomplexe errichtet worden, so unter anderen der Flughafen Tempelhof im gleichnamigen Stadtteil und das Reichsluftfahrtministerium von Hermann Göring, heute das das Finanzministerium beherbergende Rohwedder-Haus in Mitte. Die Gebäude aus den 1930er und 1950er Jahren stehen zurecht unter Denkmalschutz. Gegenüber, auf der anderen Seite des Messedamms steht das silberstrahlende ICC. Ausgesprochen heißt dieses von den Berliner Architekten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte erbaute Gebäude Internationales Congress Centrum. Es wurde am 2. April 1979 eingeweiht, und schon in den Neunziger Jahren war man die Architektur derartig leid, dass der Senat - nicht zuletzt auch wegen der hohen Betriebskosten - über einen Abriss nachdachte. Abgerissen wurde indessen nicht das zwar 320 Meter lange aber ebenso hässliche Gebäude nicht, sondern die edle Deutschlandhalle musste dran glauben. Erneut ein Beweis, dass der Berliner Senat seinen eigenen Geschmack hat (s.o.: „Entstuckungsprämie“!).
Hans Poelzig hat das Haus des Rundfunks entworfen. Ein architektonisch grandioser (wie auch sein Glanzstück, das IG-Fraben-Haus in Frankfurt am Main, jetzt „der Poelzig-Bau der Universität“) Bau, einerseits noch dem Expressionismus verspflichtet, andererseits seinen eigenen Stil der „Neuen Sachlichkeit“ demonstrierend, der im Gegensatz stand zu dem in den Zwanziger Jahren ornamental geprägten Stil der Zeit.
Erst nach der Wende wurde interessanterweise nicht in Mitte, sondern im Stadtteil Charlottenburg die neue Industrie- und Handelskammer der Stadt Berlin, das Ludwig-Ehrhard-Haus gebaut. Architekt war der Londoner Nicholas Grimshaw. Die Berliner, die mit ihrem frisch-frechen Mundwerk gewöhnungsbedürftigen Bauwerken gerne einen treffenden Spitznamen geben, haben das Ludwig-Ehrhard-Haus wegen seiner Stahlumgürtelung „Gürteltier“ getauft. Für diesen unförmigen Gebäudekoloss wurde ein denkmalgeschütztes Gebäude, ein klassisches Fünfziger-Jahre-Haus abgerissen, das Klubhaus des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller VBKI, der jetzt seine Clubabende in dem behördenhaften IHK-Gebäude durchführt. Doch dazu weiter unten.
3. Gesellschaft
Zwar haben eine große Anzahl von Zuzüglern aus Westdeutschland nach der Wende auch den Bezirk Charlottenburg/Wilmersdorf stark durchmischt. Aber im Grunde genommen ist dies nach wie vor „West-Berlin“. Gutes Bürgertum, Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht unbedingt im eigenen Einfamilienhaus mit Garten wohnen möchten, sondern die gepflegte Etagenwohnung vorziehen, wohnen hier. In Charlottenburg/Wilmersdorf wohnen nicht nur der Ex Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, sondern auch die Nach-Wende-Zuzügler Guido Westerwelle und Volker Kauder. Viele Führungskräfte, die in Mitte in ihr Büro gehen, wohnen am Ludwigkirch- oder am Fasanenplatz in Wilmersdorf oder in der Charlottenburger Mommsenstraße. Mittags essen sie im Restaurant Borchardt, wenn sie nicht die Kantine ihrer Firma vorziehen, abends gehen sie ins Adnan oder in die Paris Bar.
Von den Altberlinern gibt es Westmenschen, die seit eh und je in den Bezirken Charlottenburg oder Wilmersdorf wohnen, die kaum jemals das Brandenburger Tor Richtung Osten passiert haben. In keinem Stadtteil Berlins sind die Menschen „westlicher“ als hier. Das ergibt natürlich, zusammen mit anderen, benachbarten gutbürgerlichen westlichen Bezirken, wie Grunewald oder Zehlendorf eine ansehnliche Kaufkraft. Und so nimmt es nicht wunder, dass der Kurfürstendamm gerade nach der Wende wieder erheblich an Bedeutung für den anspruchsvollen Einkauf gewonnen hat. Mehr dazu unter Punkt 4. „Einkaufen und Ausgehen“.
Der oben schon erwähnte VBKI Verein Berliner Kaufleute und Industrieller hat seinen Sitz in Charlottenburg, nämlich im Gebäude der Industrie- und Handelskammer, dem Ludwig-Ehrhard-Haus. Mit dem Untergang der Industrie auch dieser Club seine Bedeutung eingebüßt. Er hatte seine Blütezeit wohl in der Westberliner Nachkriegszeit. Es fand vor der Jahrtausendwende ein Deal mit der Berliner Industrie- und Handelskammer statt, die (zurecht) scharf war auf das wertvolle Clubgrundstück in der Fasanenstraße. Denn die IHK plante ja mit dem englischen Architekten Nicholas Grimshaw ihren großen Erweiterungsbau, das Ludwig-Ehrhard-Haus. Leichtsinnig setzte der Club allein auf die finanziellen Vorteile, die der Verkauf seines unter Denkmalschutz stehenden eigenen großen Clubhauses in der Fasanenstraße bot: Er gab freiwillig das zwar im besten Fünfzigerjahrestil etwas eigenwillige, aber doch sehr individuelle eigene große, alleinstehende Clubhaus auf, um in der nüchternen Amtsatmosphäre des uncharmanten Gebäudes der IHK neue, ungemütliche Räume ohne jede Club-Ausstrahlung zu beziehen. Seit dieser Zeit wächst der Club zwar ständig an Mitgliedern, aber anstelle von Industriellen und wirklich bedeutenden Kaufleuten sind es Versicherungsvertreter, Rechtsanwälte und Handlungsbevollmächtigte von Firmen, deren Chefs in den Mitte-Clubs anzutreffen sind.
4. Einkaufen und Ausgehen
Noch stärker ausgeprägt als in Mitte, wo nach der Wende freilich ebenfalls glückliche Versuche zur Belebung des Einkaufslebens und der Geselligkeit in guten Wirtshäusern unternommen wurden, ist diese Kultur in Charlottenburg, vor allem rund um den Kurfürstendamm ausgeprägt. Allein der Kurfürstendamm bietet mit seinen stylisch hergerichteten Designerläden die teuersten und schönsten Markenartikel auf dem Sektor Bekleidung, Schmuck und Uhren, Brillen, Schuhe, Koffer und Taschen, ja selbst Autos, was man sich nur denken kann. Hier fehlt keine einzige Weltmarke von Bedeutung: Bei Burberry kann man schon lange nicht mehr nur Mäntel kaufen. Louis Vuitton bietet seine typischen LV-Muster auf Koffern und Taschen an. Ähnlich Gucci mit den ineinander verschlungenen zwei Buchstaben „G“, wo man längst nicht mehr nur Lederartikel bekommt. Natürlich darf Hermes nicht fehlen. Außerdem Paul & Shark, Dolce & Gabbana, Prada, Escada, Diesel, Levis, Replay und Patrick Hellmann mit seiner eigenen Marke; Schuhe gibt es bei Görtz mit eigener Marke ebenso bei Budapester, wo es keineswegs nur „Budapester“ gibt, aber eben auch. Uhren von Piaget gibt‘s im eigenen Piaget-Geschäft neben Prada, auch die Juweliergeschäfte Wempe und Bucherer haben bedeutende Niederlassungen am Kurfürstendamm. Schreibwerkzeuge gibt es von Mont Blanc. BMW, Volkswagen/ Audi/ Seat/ Skoda und Mercedes-Benz und Land Rover haben am Ku’damm große Verkaufsräume und verkaufen unter anderem hier ihre Nobelkarossen, Porsche ist immerhin mit den Artikeln von Porschedesign vertreten, ebenso gibt es ein Fashion Flagship-Store von Lamborghini. - Wer Markenfetischist ist, wird in dieser langen Einkaufsallee nichts vermissen. Deswegen begegnet man hier gar nicht mal so vielen Berlinern, sondern vielen Japanern, Russen und einfach auch schaulustigen Touristen. In den Ku’damm-Seitenstrassen gibt es edle und teilweise auch originelle Boutiquen, wie Chelsea Farmer Club mit typisch englischer Mode, Daniels & Korff, den Hemdenschneider, oder den edlen Herrenausstatter „British Clothing Berlin - der ‚andere‘ Herrenausstatter“, Schlüter- / Ecke Mommsenstraße. Groß präsentiert sich auch der Luxuseinrichtungsladen von Thomas Abraham in der Knesebeckstraße, der auf zwei Etagen wirklich ausgefallene und wunderschöne Stoffe, Kleinmöbel, Lampen und Accessoires verkauft, die man sonst nirgendwo kriegt.
Geht man den Kurfürstendamm ostwärts, am Breitscheidplatz vorbei, auf welchem die beiden Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirchen stehen, nämlich die Ruine der alten und der Egon-Eiermann-Neubau daneben, dann verlängert sich der Kurfürstendamm als Tauentzienstraße. Hier wird’s weniger mit den Designerläden, die sich auf eine oder höchstens zwei Etagen erstrecken. Hier stehen die großen Bekleidungshäuser Hennes & Mauritz, Peek & Cloppenburg, die Sportbekleidung-Hersteller Adidas und Puma, daneben auch noch einige Designer, wie Desigual und Tommy Hilfiger und vor allem das berühmte ehrwürdige KaDeWe, zu Deutsch: Kaufhaus des Westens - seit über 100 Jahren.
In den etwas nördlicheren Seitenstraßen der zum Ku’damm parallelen Kantstraße finden sich Geschäfte, die wohl nur in Berlin denkbar sind. Hier gibt es noch einen Täschner in der Pestalozzistraße, der die schönen alten Lederkoffer repariert, ebenfalls in der Pestalozzistraße eine Porzellanklinik, in welcher zwei oder drei Russen Porzellanfiguren oder –Teekannen und Bronzestatuetten, denen beim Umzug die erhobene Hand abhanden gekommen ist, wieder so herstellen, dass man nicht erkennen kann, dass dort jemals etwas kaputt war. Es gibt in dieser Gegend Geschäfte, die nur alte und neue Beschläge, Scharniere und Türklinken oder Griffe und Knäufe für Schränke und Kommoden anbieten. Woanders in der Gegend werden Puppen repariert, in der Fritschestraße ist der beste Lampenschirmmacher ansässig. Im Hause Mommsen- / Ecke Gervinusstraße gibt es ein kleines Paradies für Liebhaber alter Lampen, das auch die defekten Antiquitäten der Kundschaft repariert. Die besten Schuster in Berlin arbeiten bei „Schuhkonzept“ in der Bleibtreustraße. Auf der Kantstraße finden sich einige kleinere Einrichtungsgeschäfte, vor allem aber das „Stilwerk“, das eine Vielzahl höchst exklusiver Geschäfte für Einrichtung, Lampen, Küchen, Bäder, Blumen und Bechstein-Flügel und –Klaviere beherbergt. Ein Besuch im Stilwerk ist wie ein Gang durch ein Museum für modernes Gebrauchsdesign. Dieses Areal, zwischen Kantstraße und Kaiserdamm/ Bismarckstraße ist auch eine von mehreren Berliner Gegenden für Antiquitätengeschäfte. In Häufung findet man diese in der Suarezstraße, südlich vom Sophie-Charlotte-Platz.
Ebenso abwechslungsreich wie die Einkaufsmöglichkeiten in Charlottenburg ist deren Gastronomie.
5. Wohnen in Berlin Charlottenburg
Man wohnt schön in diesem Stadtteil Berlins. Entsprechend der vergleichsweise besonderen Architektur sowohl der schönen alten erhaltenen, als auch vieler neu errichteter ganz überwiegend als Mehrfamilienhäuser gebauter Wohngebäude gibt es eben in Charlottenburg und Wilmersdorf viele, viele bemerkenswert schöne Wohnungen. Gewiss - auch am Prenzlauer Berg sind die alten Häuser wieder gut hergerichtet worden, aber diese waren eben nie so aufwendig, so stark verziert mit Stuck und Ornamenten, nie mit so hoher Qualität der Baumaterialien, mit so üppigem Marmor, mit den schönsten, teilweise intarsierten Parkettfußböden, mit Liftanlagen aus Messing, mit Treppenhäusern mit dicken Säulen, die den Eindruck eines Schloss-Entrees vermitteln, ausgestattet. Hier gibt es in Vorderhäusern praktisch keine Wohnung ohne Balkon. Ebenso gibt es fast generell zu den Vorderhäusern zusätzlich zu den großzügigen Treppenaufgängen, die hier fast immer in edlem Holz mit Seitenvertäfelung und reichlich verzierten Wohnungseingangstüren ausgestaltet sind, außerdem noch kleine gewendelte Extra-Treppen, die früher die Dienstboten und Lieferanten zu benutzen hatten und die heute nur noch für treulose Ehemänner interessant sind, die über diese Notausgänge schnell ihre Lustconcubine entsorgen müssen, sobald sie hören, dass die Ehefrau über den Haupteingang zurückkommt. Es gibt allerlei dummen Sozialwohnungsbau, dessen hässliche containerhafte Hausblöcke vor allem vor der Wende in denjenigen noch vom Kriege herrührenden Baulücken verbrochen wurde, derer meist öffentliche Baugesellschaften habhaft werden konnten. Diese meist bis heute von aus der Politik oder aus für sie zu hohen Verwaltungsposten entsorgten Geschäftsführern geleiteten Firmen haben sich befremdlicherweise häufig auch noch mit solchen Hässlichkeiten gebrüstet. Sie waren und sind der Meinung, für die Bevölkerung etwas zu tun. Sie sehen freilich nicht, dass sie vor allem visuelle Umweltverschmutzer sind, womit sie der Allgemeinheit mehr Böses als Gutes tun. Besonders nach der Wende hat sich auch die Baukultur in den guten Gegenden Berlins und damit auch besonders in Charlottenburg und Wilmersdorf gewendet. Inzwischen hat sich die Anzahl mit wirklich guter moderner Architektur errichteter Häuser nachhaltig erhöht.
Am schönsten und ruhigsten wohnt man in den parknahen Straßen von Wilmersdorf, zumal die Wohnhäuser in diesem südlich vom Kurfürstendamm gelegenen Stadtteil Berlins nur in den Hauptstraßen mit Geschäften in den Erdgeschossetagen belegt sind. In den gepflegten und immer noch vergleichsweise breiten Nebenstraßen residiert in den Parterrewohnungen eher ein Rechtsanwalt mit seinem Büro, oder es gibt dort ein anderes ruhiges Gewerbe, also ein Büro oder eine Praxis. Nördlich des Kurfürstendamms, also im echten Charlottenburg, dagegen domizilieren in den ebenerdigen Teilen der Vorderhäuser überwiegend Ladengeschäfte oder Gaststätten. Beide Gewerbe, sowohl Einzelhandelsgeschäfte, als auch Gaststätten richten sich in Charlottenburg häufig an ein vergleichsweise gehobenes Klientel. Nur an den Hauptstraßen werden Läden und Kneipen teilweise billiger. Jedenfalls findet der anspruchsvolle Bewohner in Wilmersdorf und mehr noch in Charlottenburg alles, was er braucht.
In Gegenden, in denen die Wohngebäude überwiegend vor dem ersten Weltkrieg errichtet wurden - und diese überwiegen in diesem bevorzugten Stadtteil in Berlin - herrscht immer und überall auf der Welt Parkraumnot. In Berlin und insbesondere In Charlottenburg und Wilmersdorf kann man das an vielen Orten durchaus relativieren. Tatsächlich sind hier auch viele Nebenstraßen so breit, dass sie neben den üppig breiten Bürgersteigen oft noch einen breiten Streifen zum Parkieren der Autos zulassen. Häufig kann man sogar im rechten Winkel zur Straße auf beiden Seiten parken. Trotzdem reicht dieser Parkraum oftmals nicht aus. Deswegen gibt es viele Kaufinteressenten von Wohnungen, die eine Wohnung in einem nagelneuen Haus mit Tiefgarage bevorzugen. Auch solche Häuser und Wohnanlagen gibt es in Charlottenburg und Wilmersdorf in umfangreicher Quantität und teilweise auch hoher Qualität.
Dem großen Angebot überdurchschnittlich schöner und überdurchschnittlich großer Wohnungen entsprechend sind die Stadtteile Charlottenburg und Wilmersdorf im Großen und Ganzen auch eher von einem überdurchschnittlich wohlhabenden Publikum bevölkert. Das heißt keineswegs, dass hier nur reiche Leute wohnen - gewiss nicht. Aber es gibt hier weniger Arbeitslose, weniger Hartz-4-Empfänger, weniger Kleiverdiener als in den anderen Stadtteilen Berlins. Im alten Westberlin wohnte man, wenn nicht in Zehlendorf oder Grunewald (welch letzterer Nobelstadtteil ja zu Wilmersdorf gehört), in Charlottenburg oder Wilmersdorf. Tatsächlich waren allerdings auch immer das hübsche Frohnau, ganz im Norden Berlins, und Teile von Steglitz und Lichterfelde gute Adressen.
6. Ausgehen
Auch was das Ausgehen anbetrifft, präsentieren sich die Berliner Stadtteile Charlottenburg und Wilmersdorf weit überdurchschnittlich. Dazu hat sicher auch die 45 Jahre währende Teilung der Stadt in ein vom Sowjetregime und seinen (ost-) deutschen Vasallen beherrschtes Ostberlin und ein freies Westberlin beigetragen. Denn das ehemals eigentliche Zentrum Berlins, die auch als „Berlin-Mitte“ bezeichnete Mitte dieser großen Stadt, lag ja im sowjetisch besetzten Ostsektor der Stadt. Und die Westberliner wollten schließlich ihre eigene Oper, ihre eigenen Theater, ihre Restaurants, Kabaretts und Bars haben, zumal sie nach dem 13. August 1961, also nachdem das Ostregime die politische Teilung der Stadt durch den Bau der Berliner Mauer mit Minengürtel und Stacheldraht im wahrsten Sinne des Wortes zementiert hatte, gar nicht mehr den Ostteil der Stadt besuchen konnten.
Auch aus diesem Grunde gibt es die „Deutsche Oper“ in Charlottenburg. Allerdings gab es dort auch schon vor dem ersten Weltkrieg ein riesiges Operngebäude, welches unter dem Namen Deutsches Opernhaus in Charlottenburg (Bismarckstraße 34–37) von Heinrich Seeling erbaut und 1912 mit Ludwig van Beethovens Fidelio eröffnet wurde. Ab 1925 hieß dieses 2.300 Sitzplätze umfassende Musiktheater dann „Städtische Oper“. 1935 erneut (durch Paul Baumgarten) umgebaut hieß das nunmehr 2.098 Sitzplätze bietende Opernhaus jetzt „Deutsches Opernhaus“ und war neben dem Festspielhaus in Bayreuth die Repräsentationsbühne des Naziregimes schlechthin und unterstand rechtlich den Behörden des Propaganda-Ministers Joseph Goebbels, während Preußens damaliger oberster Repräsentant Hermann Göring die Staatsoper Unter den Linden lenkte. 1943 zerstört wurde dieses Opernhaus als „Deutsche Oper Berlin“ von 1957 bis 1961 durch Fritz Bornemann neu errichtet und mit 1.954 Sitzplätzen am 24. September 1961 mit Mozarts Don Giovanni eröffnet. Das sich nüchtern („bis zur Staubtrockenheit“, wie Kritiker sagen), monumental und imposant nach Meinung anderer darstellende architektonische Konzept findet heute sehr viel mehr Gegner als Freunde, jedenfalls, was die visuelle Ästhetik des Gebäudes angeht. Ich denke, man sollte seine Klarheit, seine Strenge und die Spannung zwischen Betonschwere und gläserner Durchsichtigkeit und damit Leichtigkeit mit mehr Tiefgang betrachten. Fest steht, dass dieses Gebäude viel mehr Pflege und Wartung verdient. Eine dreckige Fassade, versiffte Teppichböden im Innern und die in den über 50 Lebensjahren des Gebäudes wohl noch nie aufgefrischte Holzverkleidung im Zuschauerraum verstärken den bei vielen Zeitgenossen vorherrschenden Eindruck, dieses Operngebäude sei auch nicht mehr als ein typischer 60er-Jahre-Container. Was die künstlerischen Inhalte dieses bedeutenden Musiktheaters betrifft, so steht es seit seiner Existenz im ununterbrochenen Wettbewerb mit der ehrwürdigen Staatsoper Unter den Linden.
Zahlreiche Theater, allen voran die „Schaubühne“ am Kurfürstendamm, das Musicaltheater „Theater des Westens“ in der Kantstraße, nahe dem Bahnhof Zoo, die „Komödie am Kurfürstendamm“, das „Renaissancetheater“ in der Bismarckstraße, Kabaretts, wie „Die Stachelschweine“ in der Tauentzienstraße oder die „Tribühne“ in der Otto-Suhr-Allee und viele, viele Klein- und Kleinstbühnen (die es keineswegs nur in Kreuzberg gibt) zeugen von einer regen Stadtteilkultur in Charlottenburg/Wilmersdorf.
In diesem Zusammenhang ist auch die Technische Universität und die UdK, die Universität der Künste zu nennen, die beide ihren Sitz in Charlottenburg bzw. Wilmersdorf haben.
Aber es gibt auch ein Ausgehen ohne Kulturgenuss durch Theater und Musik. Die Restaurant-, Bar- und Kneipenszene ist in Charlottenburg/Wilmersdorf wohl unübertreffbar an Vielfalt und Vielzahl. Tatsächlich domizilieren zwar die meisten Spitzenrestaurants in Mitte. Aber auch Charlottenburg und Wilmersdorf zeichnen sich durch eine Vielfalt von hervorragenden und bestens gestalteten Restaurants aus. Sehr gelobt werden die Restaurants in den beiden Spitzenhotels in der Nähe des Zoologischen Gartens, das „Hugos“ im Interconti an der Budapester Straße und das „First Floor“ im Palace Hotel, direkt gegenüber vom Elephanten umsäumten Haupteingang zum Zoologischen Garten. Als eine der besten chinesischen Küchen in Deutschland gilt das „Good Friends“ Ecke Kantstraße / Schlüterstraße. Am populärsten und berühmtesten, auch außerhalb Berlins, ist die „Paris Bar“ - keineswegs eine Bar, sondern ein Promirestaurant, in welchem man regelmäßig Schauspieler Otto Sander, Starfriseur Udo Walz, Sabine Christiansen und Wolfgang Joop treffen konnte, außerdem Otto Schily oder Udo Lindenberg, wenn er mal in Berlin war. Ich habe aber auch immer wieder ganz zufällig Freunde aus Frankfurt, München oder Köln dort getroffen, die sich in der Paris-Bar, auch nachdem diese pleite ging (und wieder auferstand) immer wieder wohl fühlen, obwohl die Qualität der Speisen dort als mäßig, der Service als mitunter ein Bisschen von oben herab und die Einrichtung als unbequem verschrien sind. Allerding gibt es fast auf jedem Zentimeter Wand bedeutende Kunst. Hier hinterließ vor allem Martin Kippenberger deutliche Spuren. Ob er wohl den gesamten Gegenwert vertrunken hat? Kippenbergers angebliches Bild der Paris Bar, das der ehemalige Eigentümer der Paris Bar Michael Würthle für 2,7 Mio Pfund bei Christie’s in London versteigern ließ, stammte allerdings gar nicht von dem berühmten Maler, sondern war vielmehr eine Auftragsproduktion von diesem an einen Kinoplakatmaler namens Götz Valien - typisch für die Originalität dieses Lokals. Erwähnt werden sollte auch ein anderes - weit jüngeres - Kultlokal, das Restaurant des fleißigen Adnan Oral, „Adnan“. Auch hier kann man gelegentlich durchaus Brad Pitt, Angela Merkel oder George Clooney lächeln sehen. Und fragt man den Wirt, „ist das wirklich . . .?“, so zuckt dieser mit den Schultern und zeigt sich von der listigen Seite: „Kann sein. Kann nicht sein…“ Man kann hier unmöglich auch nur die wichtigsten Restaurants aufzählen, man müsste das „Manzini“ in der Ludwigkirchstraße nennen, wo Schöngeist Jeanotte Simmen, der aus der Schweiz stammende „Belletage“-Gastgeber, die Speisekarte mit einem Essay bereichert hat, oder das „Nuovo Mario“ in der Fasanenstraße, das „Ciao“ an der Schaubühne, wo die Immobilienleute vor allem an Samstagen ihre Lust am guten Essen und an goldenen Uhren zeigen usw. usw.
Was macht man nach dem Essen? Mann geht in eine gemütliche Bar, vielleicht in die „Bar 47“ oder in die Galerie von Starfriseur Udo Walz, die auch eine schicke Bar beherbergt, beides in der Fasanenstraße, oder das „Tuxedo“ auf der Uhlandstraße (fast Ecke Ku’damm). Man kann auch, insbesondere, wenn man Zigarren liebt, in die Times-Bar des Hotel Savoy, gegenüber der IHK, gehen. Danach sind es die Clubs und die Discos, das „Maxims“, das „First“ (beide fast gegenüber in der Joachimstaler Straße) und das „Puro“, hoch über den Dächern Berlins mit herrlicher Nachtaussicht im Europacenter (Eingang Tauentzienstraße), die zumindest die Jugend anziehen, und abstürzen kann man dann ganz spät im „Vagabund“, in der Knesebeckstraße 77, wo man „alle vier Geschlechter treffen kann.
Die Paris Bar
Eines ist sicher: Charlottenburg und Wilmersdorf sind keineswegs out, nachdem die Mitte, der Prenzlauer Berg, Friedrichshain und andere „neue“ Stadtteile Berlins auch sehr viel zu bieten haben.
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